Projekt 1: Projektbeschreibung

Ausgangspunkt des Projekts ist das Faktum, dass in den europäischen Gesellschaften der Frühen Neuzeit der Großteil des Vermögens über Heirat und Vererbung transferiert und in Besitz genommen wurde. Erbrechte und Erbansprüche waren eng mit Verwandtschaft verkoppelt. Zugleich waren darin zentrale Konkurrenzachsen angelegt. Je nach Ehegüter- und Erbmodell unterschiedlich gestalteten sich Handlungsoptionen und Praxis im Umgang damit. Daran anknüpfend und weiterführend ist die Grundthese des Projekts, dass Vermögen als wesentliches Medium der Konstruktion von Verwandtschaftsräumen fungiert hat. Verwandtschaftsräume sind im thematischen Zusammenhang als soziale Räume definiert, die über Kommunikation und Interaktion, über Prozesse des Aushandelns, über Erinnerung, aber auch über Konkurrenz und Konflikte hergestellt wurden. Auf welche Art und Weise dies erfolgte, ist die Kernfrage des Projekts. Umgesetzt in die Forschungspraxis erfordert dies, Vermögenstransfers und -arrangements hinsichtlich ihrer sozialen und ökonomischen, ihrer intergenerationalen und geschlechtsspezifischen Implikationen zu analysieren. Vermögen umfasst in diesem Kontext nicht nur Liegenschaften und Geld, sondern auch davon abgeleitete Rechte und Ansprüche sowie Dinge, die als Wertspeicher wirkten konnten, symbolisch bedeutsam waren oder im täglichen Gebrauch standen.

Das Projektvorhaben inseriert sich damit in mehrere, aktuell breit debattierte Forschungsfelder: in die Historische Verwandtschaftsforschung, in die Geschlechtergeschichte der Ehegüter- und Erbpraxis, in die Materielle Kultur- und in die Konsumforschung und greift auch Fragen sozialer Ungleichheit auf. Ein innovativer Aspekt des geplanten Projekts ist eine gezielte und systematische Verflechtung dieser Felder, deren heuristisches Potenzial hoch einzuschätzen ist.

Das ideale Laboratorium für die Umsetzung der Projektziele ist der Raum des südlichen Tirol einschließlich des heutigen Trentino: Denn hier trafen ‚romanisch‘ und ‚germanisch‘ geprägte Rechtskulturen zusammen und überlagerten sich. Dieses Territorium ist zudem besonders reich an vermögensrelevanten Quellenbeständen (Notariasakten, Verfachbücher). Rechtskodifikationen datieren aus dem 16. Jahrhundert und hatten auch schon Vorläufer im 13. Jahrhundert.